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Verwerfungen und Lieferengpässe auf dem Kohlenmarkt in Europa

Verwerfungen und Lieferengpässe auf dem Kohlenmarkt in Europa

«Trevithick Welsh Steaming Ovoids», ein Anthrazit basiertes Brikett wird als möglichen Nachfolger der walisischen Steinkohle getestet.

Kohle und Dampflokomotiven

Damit historische Dampflokomotiven fahren können, muss im Kessel Dampf erzeugt werden, welcher in den Zylindern der Dampfmaschine Arbeit verrichten und die Lok antreiben kann. Wie schon zur Zeit der Erfindung der Dampfmaschine im ausgehenden 18. Jahrhundert, verwendet auch der DVZO traditionsgemäss Steinkohle, welche der Heizer auf dem Führerstand mittels Schaufel in die Feuerbüchse wirft und so das Feuer beschickt. Diese Feuerbedienung ist allerdings nicht so trivial wie es klingen mag und ist nicht vergleichbar mit der Bedienung eines Gartengrills. Es erfordert viel Erfahrung und Geschick, welche über Jahre antrainiert werden müssen, um dieses alte Handwerk zu meistern.

Keine walisische Steinkohle mehr

Der DVZO, wie auch zahlreiche andere Schweizer Dampfbahnen, bezieht seit über zehn Jahren Steinkohle aus Wales. Die walisische Steinkohle gilt seit der industriellen Revolution als eine der besten Kohlesorten weltweit, wenn nicht sogar als die Beste. Ein hoher Energiegehalt, gute Brenneigenschaften und geringe Schadstoffanteile und Rauchentwicklung zeichnen sie aus. Nun wurde anfangs Jahr bekannt, dass die letzte Zeche in Wales, Ffos-Y-Fran, ab sofort keine «Stückkohle» mehr fördert, sondern nur noch zermahlenen Staub für die Stahlindustrie und ein verbleibendes Kohlekraftwerk liefert.

Ganz überraschend war das Aus nicht. Bereits seit einiger Zeit ist bekannt, dass die Abbaulizenz Ende 2022 auslaufen wird und nicht erneuert wurde. Der verfrühte Zeitpunkt hat die historische Dampfszene nun aber doch überrumpelt. Auslöser war ein schwerwiegender Schaden an einer Sortiermaschine, dessen Reparatur aufgrund der kurz bevorstehenden Stilllegung nicht mehr in Frage kam.

Der Heizer bei der Arbeit

Kohle ist nicht gleich Kohle

Abklärungen für eine Nachfolgeprodukt waren schon seit einiger Zeit im Gange. Die Verfügbarkeit von geeigneter Kohle ist dabei eine Herausforderung, denn was Dampfbahnen benötigen ist ein Nischenprodukt. Kohle ist nicht gleich Kohle. Während Kohlekraftwerke und die Industrie mit verhältnismässig minderwertiger Kohle auskommen (z.B. auch Braunkohle) benötigen Dampflokomotiven eine sehr hochwertige Kohle mit hohem Energiegehalt und guten Brenneigenschaften, welche zu alle dem als «Stückkohle», also in Brocken, verfügbar ist, welche mittels Schaufel verfeuert werden können – Kraftwerke und Industrie kommen mit zermahlenen Kohlestaub aus. Der Markt für solche Kohle ist aufgrund der wenigen, fast ausschliesslich musealen Abnehmer europaweit sehr begrenzt.

Klimasünder Museumsbahnen? – eher nicht!

Der DVZO verbrennt pro Jahr gerade einmal zwischen 30 bis 35 t Kohle. Dies entspricht einem CO2-Ausstoss von 85 t pro Jahr oder der Menge CO2, welche ein modernes Flugzeug auf der Route Zürich – Kanarische Inseln und zurück ausstösst. Als Vergleich: Allein das Zementwerk Untervaz verbrennt im Jahr ca. 60’000 t Braunkohle. Wir sprechen also von komplett anderen Dimensionen. Gemäss Bundesamt für Statistik wurde im Jahr 2020 139’000 t Steinkohle in die Schweiz importiert. Davon ging die überwältigende Mehrheit an industrielle Abnehmer. Der historische Sektor ist verschwindend klein und daher den grossen Verwerfungen auf dem Markt ausgeliefert.

Alternativen zu Wales

Die europäische Dachorganisation der historischen Bahnen FEDECRAIL hat anfangs 2021 eine neue Kohlesorte aus Sibirien als Nachfolger empfohlen. Verschiedene Dampfbahnen in der Schweiz haben diese getestet und sind fast einstimmig zur Erkenntnis gelangt, dass diese den Ansprüchen nicht genügt. Einige wenige verwenden schon seit längerem sibirische Kohle – die Vorlieben der Heizer sind halt verschieden. Seit Ende Februar ist der Kohleimport aus Russland aus politischen Gründen undenkbar geworden. Somit entfällt diese Option ebenfalls endgültig.

Weiter wurde bereits seit Jahren auch Kohle aus Polen bei manchen Museumsbahnen eingesetzt. Dabei handelt es sich jedoch um eine verhältnismässig minderwertigere Kohle mit hohen Rauch- und Geruchsemissionen. Aufgrund des Ukrainekrieges hat Polen jedoch auch den Export seiner Kohle praktisch gestoppt, um Energieengpässe im eigenen Land zu vermeiden.

Ein Maschinenschaden in der walisischen Zeche und der Ukrainekrieg haben also praktisch über Nacht alle europäischen Kohleangebote für die Verwendung in historischen Dampfkesseln zum versiegen gebracht.

Wie weiter? England im Lead

Wohl kein anderes Land in Europa hat so viele Museumsbahnen wie England (ca. 150). Das industrielle Erbe und die damit verbundenen Kulturgüter besitzen dort einen grossen Stellenwert in der Bevölkerung. Dementsprechend gross ist die Branche und dementsprechend hart trifft es diese auch. Zum Vergleich: Alle Dampfbahnen in England verbrauchen pro Jahr ca. 26’000 t Kohle. Eine unvorstellbar grosse Summe aus Schweizer Sicht.

Die Engländer haben bereits seit letztem Jahr eine Vorreiterrolle in Sachen Kohle-Alternativen eingenommen. Einerseits werden kurzfristige Ersatzprodukte für die walisische Kohle gesucht und andererseits werden mittelfristig ökologische Alternativen, sogenannte Bio-Kohlen getestet und entwickelt, welche die fossilen Brennstoffe auch im historischen Sektor einst ablösen sollen. Koordiniert wird dies alles durch die Heritage Railway Association HRA, dem englischen Dachverband für Museumsbahnen.

Bei den getesteten Brennstoffen handelt es sich nicht mehr um herkömmliche Steinkohlen aus einem Bergwerk, sondern um Briketts, deren Zusammensetzung entsprechend den gewünschten Eigenschaften modifiziert werden kann. Federführender Produzent ist dabei die Coal Products Limited CPL in Sheffield, welche verdankenswerterweise sehr kooperativ mit der historischen Branche ist, obwohl diese aufgrund seiner Grösse kein sonderlich lukrativer Abnehmer darstellt.

Was wird zurzeit in Dampflokomotiven in England getestet?

„Trevithick Welsh Steamig Ovoids“

Ein Anthrazit Brikett hergestellt von Hargreaves Energy, dem Lieferanten der ursprünglichen walisischen Steinkohle aus der Zeche Ffos-Y-Fran. Anthrazit ist eine Kohlesorte, welche in den älteren Gesteinsschichten zu finden ist. Er hat einen sehr hohen Energiegehalt und ist sehr raucharm. Jedoch hat er für Dampflokomotiven nicht optimale Brenneigenschaften, da er viel Zeit braucht, bis er brennt und Hitze freigeben kann. In einem Umfeld, wo es doch gerne kurze Reaktionszeiten gibt, erschwert dies die Arbeit für den Heizer.

„Ecoal“

Ein hybrides Brikett aus Anthrazit und Biokohle hergestellt von Coal Products Limited CPL. Die Biokohle wird durch Verkohlung von Olivensteinen, ein offenbar in grossen Mengen anfallendes «Abfallprodukt» in der Olivenölherstellung gewonnen. Im Sommer 2021 wurde diese «hybride» Biokohle zum ersten Mal in einer Dampflok in England getestet und seither weiterentwickelt. Dies markierte das erste Mal, dass eine historische Dampflok in Europa mit Biokohle befeuert wurde. Die Weiterentwicklung von Ecoal zu einem zu 100% auf Biokohle basierenden Brennstoff, welcher somit CO2-neutral wäre, wird derzeit als Endziel in der Kohlefrage gehandelt.

„Wildfire“

Ein Brikett aus Anthrazit und Steinkohle, ebenfalls hergestellt von CPL. Die Vermischung des Anthrazit mit anderen Kohleprodukten soll die Reaktionszeit verbessern und die positiven Eigenschaften des Anthrazits (raucharm, Energiegehalt) beibehalten. Erste Tests lassen vermuten, dass es sich hierbei um ein kurzfristiges, geeignetes Ersatzprodukt für walisische Kohle handelt. Die Resonanz aus England ist entsprechend positiv.

Verschiedene „Heritage Blends“

Da keine der obigen Produkte der walisischen Steinkohle bisher das Wasser vollständig reichen mag, wird mit verschiedenen Kohle-Brikett Mischungen von CPL experimentiert, bei welchen die positiven und negativen Eigenschaften der verschiedenere Sorten gegeneinander ausgespielt werden.

Kolumbianische Steinkohle

Aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit europäischer Kohlen wird unterdessen auch Kohle aus Kolumbien importiert. Diese ist in ihrer Qualität jedoch nicht zufriedenstellend, ganz abgesehen davon, dass sie um die halbe Welt geschifft wird. Weiter sind auch Abklärungen bezüglich Kohle aus Südafrika und Australien im Gange. Die generelle Meinung ist, dass Kohleimporte aus aller Welt keine langfristige Lösung sein können.

Ecoal, eine erste kommerziell erhältliche Hybrid-Kohle aus dem fossilen Brennstoff Anthrazit und erneuerbarer Biokohle, gewonnen aus Olivensteinen. Entwickelt und hergestellt in Grossbritannien.

Was machen die Schweizer Dampfbahnen und was macht der DVZO?

Nach den ernüchternden Kohletests Ende letztes Jahr mit der sibirischen Kohle haben wir das Geschehen in England nahe mitverfolgt. Wir stehen in Kontakt mit Englischen Museumsbahnen und mit CPL. Zusammen mit der Schinznacher Baumschulbahn, sowie anderer Schweizer Dampfbahnen konnten wir eine kleine Testmenge Trevithick Ovoids importieren. Gesponsert durch den Dampfloki Club Herisau DLC haben wir zusätzlich eine Testmenge Ecoal importiert. Beide Produkte konnten wir am ersten Maiwochende erstmals testen. Die ersten Versuche stimmen uns positiv. Mit beiden Brennstoffen wurden je zwei Fahrten Bauma – Hinwil retour mit der Ed 3/4 Nr. 2 und 70 t Anhängelast absolviert, was einem mittelschweren Zug für diese Strecke und Lok entspricht.

Der Heizer und Lokführer testeten in erster Linie die generelle Eignung der beiden Produkte hinsichtlich einer genügenden Dampferzeugung und in zweiter Linie verschiedene Verhaltenseigenschaften der «Kohlen» im Feuer. Sie kamen zum Schluss, dass der Betrieb grundsätzlich mit beiden Sorten möglich ist. Es erfordert eine etwas angepasste Handhabung seitens des Heizers. Die Dampferzeugung mit beiden Briketts ist etwas schlechter als mit der walisischen Kohle. Sie genügt jedoch und der Fahrplan konnte pünktlich eingehalten werden. Positiv herauskristallisiert hat sich, dass beide Briketts nochmals deutlich weniger Rauch entwickeln, als es die walisische Kohle schon tat. (Die walisische Kohle galt bereits als sehr raucharm im Vergleich mit den deutlich stärker raucherzeugenden sibirischen und polnischen Kohlen).

Es werden nun noch weitere Tests durchgeführt auf der grösseren Lok Eb 3/5 Nr. 9 und auf unserer kleinsten Lok Ed 3/3 Nr. 401.

DVZO macht erste Versuche mit Hybrid-Bio-Kohle Ecoal

Die Energiewende wird auch vor historischen Dampfbahnen keinen Halt machen. Auch wenn der Anteil der Museumsbahnen am schweizweiten CO2-Ausstoss vernachlässigbar ist, wird die Verfügbarkeit von fossilen Brennstoffen und insbesondere von geeigneter Kohle mittelfristig auslaufen. Aus unserer Sicht sind die Weichen auch für historische Dampfbahnen klar gestellt in Richtung CO2-neutraler Alternativen wie Biokohlen, welche durch raffinierte Prozesse aus Abfallprodukten wie Kompostgut oder Klärschlamm hergestellt werden können. Die momentan verfügbaren Produkte wie Ecoal sind noch nicht zu 100% bio-basiert. Es braucht noch einiges an Entwicklung um den hohen Qualitätsanforderungen und auch der ökonomischen Tragbarkeit gerecht zu werden. Es freut uns aber, dass wir an den Tests teilnehmen und mit unserem Feedback an CPL einen kleinen Beitrag leisten können.

Wir sind bestrebt, sobald geeignete Produkte verfügbar sind, welche den heiztechnischen Anforderungen genügen, emissionsarm und wirtschaftlich in der Beschaffung sind, auf Biokohle aus erneuerbaren Rohstoffen umzusteigen und somit unseren Betrieb nahezu CO2-neutral auszulegen. Besonders freuen würden wir uns zudem, wenn sich in der Schweiz eine ähnliche Entwicklung ergeben würde wie in England. Der DVZO stünde als Testpartner im Entwicklungsprozess eines solchen Biokohleprodukts zur Verfügung.

Blick in die Feuerbüchse mit den glühenden Ecoal Stücken. Vermutlich das erste Mal, dass eine Schweizer Dampflok mit Biokohle gefeuert wurde.

Verfasst von Kim Nipkow, Leiter Triebfahrzeuge Bauma