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Räderfarbe im DVZO: Echowellen der Eisenbahn- und Politikgeschichte

Räderfarbe im DVZO: Echowellen der Eisenbahn- und Politikgeschichte

Über Ostern malte ein Team der Technik-Gruppe Bauma die Räder der Ed3/3 401 schwarz, nachdem diese ein Dritteljahrhundert im historisch inkorrekten Rot geprangt hatten – nota bene kam sie 1986 mit schwarzen Rädern aus der Totalrevision aus Wil SG, wurde aber noch vor der ersten Ausfahrt der Saison in einer Nacht- und Nebelaktion auf rot umgemalt. Dies verdient eine Betrachtung, wie es zu einem solchen Chamäleonspiel kam.

Wie Hans-Peter Bärtschi in seinem neuen, Ende 2019 herauskommenden Buch «Schweizer Bahnen. Mythos, Geschichte, Politik» darstellen wird, hatte das grosse 100-Jahr-Jubiläum der «ersten Schweizer Bahn» zur Mitte des 20. Jahrhunderts politische Brisanz. Angesichts der Zeitumstände feierte man nicht etwa 1944 das Jubiläum der Bahnlinie Basel-Strassburg, denn dies hätte unabsehbare Irritationen mit dem eben um seine Befreiung ringenden Frankreich einerseits und dem am Abgrund stehenden Nazi-Reich andererseits mit sich gebracht. Also verschwieg man dieses erste Zentennarium weitgehend und konzentrierte sich 3 Jahre später auf die «erste vollständig auf Schweizer Boden gelegene» Bahn Zürich-Baden. Peinlicherweise war diese zur Zeit ihrer Entstehung eine ökonomische Missgeburt. Anstatt Kohle und Baumwolle für die Fabrikanten transportierte sie im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens zur Hauptsache ein federleichtes Badener Backwaren-Exportprodukt nach Zürich und wurde deshalb von den geprellten Investoren spöttisch «Spanisch-Brötli-Bahn» genannt (dass deren Abkürzung «SBB» heisst, ist eine Ironie der Geschichte). Die Jubiläumsmacher von 1947 hatten nun die Aufgabe, im Sinne des Landi-Geistes diese Bahn rundum positiv zu konnotieren und als ideale Verkörperung der damals absolut geltenden Landeseigenschaften wie Eigenständigkeit, Bescheidenheit, Neutralität und Autarkie darzustellen. Hierfür war der Diminutiv des Spottnamens gerade recht, und in Abgrenzung zum militärisch-ernsten Tannengrün der Bahnfahrzeuge (nur ganz wenige Schnelltriebzüge hatten das Privileg die Farbe Rot tragen zu dürfen) wurde das nach Vorbild des deutschen Zentennariums von 1935 als Replik erbaute putzige Züglein wie schon das 1939 überaus populäre Landi-Dörfli so bunt wie möglich gestaltet: die Wagen abwechslungsweise blau-grün-gelb-rot-braun (hier 2009 ein Teil des Zuges mit der Lok „Genf“ auf Besuch im Neuthal), die Lok braun-hellgrün mit roten Rädern – da haben wir sie erstmals in der Schweizer Eisenbahngeschichte! Der Spanisch-Brötli-Bahn-Zug wurde in den auf das Jubiläum folgenden Jahrzehnten immer wieder hervorgeholt, wenn es irgendwo ein Bahnhoffest, einen Geburtstag oder eine Einweihung zu feiern galt. Dementsprechend prägte sich der Eindruck «des historischen Zuges» in der damals heranwachsenden Generation technik-, dampf- und nostalgiebegeisterter Leute ein – der heute 70- bis 90-Jährigen. Noch ganz als ästhetische Kopie des Spanisch-Brötli-Bahn-Zuges gehalten war der ab 1966 eingerichtete Amor-Express der Bodensee-Toggenburg Bahn: die Lok mit leuchtend roten Rädern, die Wagen blau, grün, gelb, rot und braun. Bis Mitte der 70er-Jahre hatte ein «richtiger Nostalgiezug» einfach so auszusehen. Im DVZO führte diese Frage von Anfang an zu Spannungen. Die – vereinfachend gesagt – «Laienfraktion» mit ihren Eindrücken von den Bahnfesten der letzten 20 Jahre wünschte eben dieses Erscheinungsbild, während historisch reflektiertere Leute das Farbkonzept der Jahrhundertwende bevorzugten, so wie es sich bis zum Ende des Dampfbetriebes gehalten hatte und wie man es vom alltäglich-gewöhnlichen, «nicht nostalgischen» Dampfbetrieb in Erinnerung hatte. Nachdem der erste DVZO-Zug 1978-1984 noch ganz in Tannengrün-Schwarz gehalten war, schloss man Mitte der 80er-Jahre einen Kompromiss: die Wagen blieben tannengrün mit Ausnahme des Buffetwagens (nach damaligem, seit ca. 1956 geltenden Brauch rot), die Loks hingegen verloren ihr Schwarz zugunsten grüner Führerstände, blauer Kessel und roter Räder.

1980 wurde der Spanisch-Brötli-Bahn-Zug das letzte Mal eingesetzt und verschwand dann bis 1997 im Verkehrshaus. SBB-Dampfzüge fuhren fortan im Stil der 1920er-Jahre in Tannengrün und Schwarz und prägten in den heranwachsenden Fans ein neues Bild, wie ein Dampfzug auszusehen hat. Mittlerweile hat sich auch im DVZO wieder ein Generationenwechsel vollzogen, was nun in der veränderten Farbgebung des 401 seinen Niederschlag gefunden hat. Der Widerschein des Land-Geistes scheint nun auch im Zürcher Oberland allmählich zu verblassen.

Und wie hat einmal ein Kenner der Szene treffend gesagt? – Farbe ist heilbar!

Verlinkte Fotos: Georg Trüb / Sammlung DVZO