2000 – 2010: Wilde Jahre als eigenständiges Bahnunternehmen
Erstmalig in der Schweizer Bahngeschichte wird eine verstaatlichte Bahnlinie reprivatisiert: für 1 Franken kann der DVZO die 6 km lange Strecke Bauma – Bäretswil von SBB Infrastruktur abkaufen, inbegriffen die Bahnhofgebäude Bäretswil und Neuthal, letzteres allerdings mit einem noch Jahrzehnte gültigen Baurecht belastet. Allerdings muss er sogleich eine Million dazugeben für eine abermalige Sanierung des Neuthaler Viadukts; dank Christoph Maags Weibeln gelingt auch dies erneut. Die eidgenössische Bundesversammlung konzessioniert den DVZO als Infrastrukturunternehmen, und das Bundesamt für Verkehr erteilt die Personenverkehrskonzession für die öffentlichen Fahrten. Der DVZO kümmert sich sogleich buchstäblich mit Hochdruck um die Gleisentwässerungen, wofür das erste Mal sogar ein Dampf-Dienstextrazug zum Einsatz kommt.
Ausserhalb der eigenen Strecke profitiert man nun vom freien Netzzugang. Anstelle eines meist erfolglosen Bittgangs zum SBB-Verkaufsmanager tritt ein Fax an den One-Stop-Shop von SBB-Infrastruktur, und tags darauf ist die gewünschte Fahrordnung da, mit einem «Danke für den Auftrag» statt ideologischen Diskussionen und pseudooperativem Gemecker. Voraussetzung ist lediglich eine betriebsfähige Lok und kompetentes Personal. Die Trassengebühren von knapp ½ Franken pro Zugskilometer sind vernachlässigbar. Der DVZO nutzt die Wildwest-Verhältnisse sogleich für Extra- und Sonderfahrten inklusive Lohnkutscherei mit der Be 4/4. Der Betriebsrayon reicht vom Bündnerland über das Tessin und Basel bis an den Bodensee. Zwar sucht sich die unter Sparzwang geratene SBB nach Kräften nicht mehr benötigter Infrastruktur zu entledigen. Schweizweit erfolgt der Rückbau hunderter von Weichen und Nebengleisen, was in Kombination mit einer zunehmend höheren Belastung der verbliebenen Anlagen dem DVZO die Führung langsamer Extrazüge erschwert. Noch aber ist vieles möglich, 2004 etwa kann nach wie vor tagsüber mit 30 km/h von Bauma nach Basel überführt werden.
Zur gerade richtigen Stunde erweckt Lokführer Daniel Rutschmann, der jüngste Sohn des früheren Obermaschineningenieurs, in eigener Initiative die brachliegende Dampflok Ec 3/5 3 der Mittelthurgau-Bahn wieder zum Leben und setzt sie unter Duldung des Eigentümers beim DVZO ein. Mit dieser 60 km/h schnellen Lok sind Fahrten möglich, die mit Tiger und Kumpanen kommerziell nicht attraktiv wären. Etliche Jahre ist sie in Bauma stationiert und ermöglicht manche schöne Exkursion, bis nach dem unrühmlichen Untergang des Vorbesitzers der Verein Historische Mittel-Thurgau-Bahn sie als neuer Eigentümer wieder in die Ostschweiz versetzt.
Da der DVZO ganz allgemein etwas wagemutiger ist als andere, unterstützt er bald diverse befreundete Vereine operativ-administrativ. Für sie schlüpft er nun in die Rolle, die kurz zuvor noch die SBB ihm gegenüber eingenommen hatte. Hiervon profitieren für die nächsten Jahre insbesondere die Zürcher Museumsbahn, der Verein Historische Mittel-Thurgau-Bahn und der Verein zur Erhaltung der Dampflok Muni. Im neu geschaffenen Interessenverband der historischen Eisenbahnen Schweiz (HECH) engagiert sich der DVZO in der Erarbeitung und Pflege des Betriebshandbuches, das für die nächsten rund 15 Jahre als Sicherheitsmanagementsystem und damit als Basis für die Erteilung der Sicherheitszertifikate anerkannt bleibt.
Kehrseite der geringen Trassengebühren sind die sogleich fälligen Netzanschlussgebühren der SBB für die Mitbenützung der Bahnhöfe Bauma und Hinwil. Zusammen mit dem Aufwand für den Streckenunterhalt fressen sie permanent rund ein Drittel der Jahreseinnahmen in mittlerer sechsstelliger Höhe wieder weg. Trotzdem schafft der DVZO weiterhin auch Rollmaterialsanierungen. Ein initiatives Grüppchen von zumeist Senioren in der Lokremise Uster stösst im Zweijahrestakt revidierte Wagen aus, einer schöner als der andere. Später verlagert sich die Revisionstätigkeit auf historische Güterwagen, entweder zu dienstlichem Gebrauch oder einfach nur toll anzusehen.
Die personalmässig letzte Bastion fällt, indem 2000 der erste DVZO-Lehrgang für Laien-Lokführer startet, quasi als Krönung einer engagierten Heizertätigkeit. Nichtsdestotrotz stemmen aber weiterhin rüstige Rentner die Hauptarbeit im Führerstand, zumeist durch verständnisvolle Chef-Lokführer im Rahmen des Austrittsgesprächs final motiviert.
Als der DVZO am 100-Jahr-Jubiläum der UeBB im Mai 2001 alle sich im Kanton Zürich befindlichen Dampfloks in Bauma versammelt möchte, geht auch eine Anfrage an die Chemische Fabrik Uetikon, welche dort immer noch den 1992 letztmals verwendeten Tiger E 3/3 8476 alias 10 im Bestand hat. Die Antwort ist positiv, aber mit der Anmerkung, man möge doch die Lok dann bitte gleich geschenkhalber behalten. So kommt der Verein zur vierten betriebsfähigen Dampflok wie die Jungfrau zum Kind. Aus Platzmangel gelangt der «Chemie-Tiger» vorerst in Gebrauchsleihe an die Eurovapor-Betriebsgruppe Sulgen, kommt aber 2004 zurück und mausert sich trotz seiner typenbedingten Schwächen bald zu einer wichtigen Stütze des Betriebs.
Am Folgetag des besagten Jubiläums wird die UeBB-Lok Ed 3/3 401 nach 15 strengen Saisons inkontinent. Sie muss nicht nur neu berohrt, sondern auch mit einer neuen Feuerbüchse ausgestattet werden. Das Ersatzdesign mit der Hauptfrage «Kupfer oder Stahl?» führt zu epischen und bisweilen gehässigen Diskussionen. Schliesslich geht die Lok in die Tschechei und kommt Ende 2008 mit einer Stahlfeuerbüchse zurück. Sogar 16 Saisons hält die Lok Ed 3/4 2 durch; erst Anfang 2008 kommt sie für umfassende Reparaturen zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte ausser Betrieb.
Als um die Jahrhundertwende die SBB ihr ehemaliges Lokdepot Wald abstossen will, springt der DVZO in die Bresche und übernimmt zur Vermeidung eines Abbruchs die Immobilie kurzerhand im Baurecht. Zur zunächst vorgesehenen Stationierung der dritten Betriebsdampflok kommt es aber nur kurz. Einen Stand vermietet er bald an den Verein Triebwagen 5, der dort eine Werkstatt einrichtet und das namengebende Fahrzeug der früheren Südostbahn revidiert. Im anderen Stand hinterstellt der DVZO die seit 1971 im Vereinsbesitz befindliche Dampflok Ec 3/4 1, an deren Revision man sich bis heute nicht heranwagt. Ferner dient das Freiluftgelände neben dem Depot als Abstellort für diverses sperriges Sammelgut.
2004 schliesst die Ruhrpott-Zeche «General Blumenthal», die seit 150 Jahren für die Lokomotiv-Verfeuerung bestens geeignete Fett-Nuss-Steinkohle förderte und nach dem Zweiten Weltkrieg ganz Westeuropa damit belieferte. Seither wird bis heute mehr oder weniger erfolglos mit diversen Ersatzprodukten aus Polen, Sibirien, Wales und England herumgedoktert – an die Qualität der Ruhrkohle kommt nichts heran.
Erst allmählich breitet sich die Formalisierung aus. Der Schreibende, 1998 bis 2020 Betriebsleiter des DVZO, hat in seiner zunehmend disponiblen Arbeitszeit im Stationsbüro Bauma Gelegenheit, mit noch verhältnismässig einfachem Aufwand Sicherheitsnachweise und Genehmigungen zu erwirken. Vorerst bleibt es bei der Sicherheitsbescheinigung für den Verkehrsbetrieb als Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sowie bei den Personalzulassungen der Lokführer. Später kommen auch die Sicherheitsgenehmigung für die Rolle Infrastrukturbetreiberin sowie die Personalzulassungen der Heizer und Rangierbegleiter dazu. Aufgrund dieser Regulierungen verlieren die meisten Zugführer 2008 ihre Berechtigung zum Ausüben von Rangiermanövern. Noch nahezu unreguliert bleibt in dieser Zeit die Rollmaterial-Instandhaltung.
Bereits 2001 zum 100-Jahr-Jubiläum der UeBB und dann ab 2005 jährlich etabliert sich ein stets gut besuchtes Spezialwochenende mit intensivem Betrieb von einem guten Dutzend, bisweilen von weit her zugereisten Gastfahrzeugen rund um den Depot- und Knotenbahnhof Bauma. Die nur noch spärlich genutzten umfangreichen Gleisanlagen der einst güterverkehrsorientierten Station können dabei noch einmal zur Hochform auflaufen.
Die nunmehr problemlos möglichen jährlichen Fahrten zwischen Bubikon und Wolfhausen widerspiegeln gewissermassen den der Vereinsgründung Pate gestandene Variantenfächer möglicher Betätigungsfelder. In Erinnerung bleiben, nicht zuletzt auch wegen den meist spektakulären Überfuhren, diverse weitere Engagements «con tutta la roba» in Nah und Fern, sei es 2002, 2004 und 2009 abermals im Glarnerland, 2005 am Hafenfest Kleinhüningen, 2006 am Mehrspur-Treffen Untervaz, 2007 am Tiger-Treffen Triengen oder 2009 am Depotfest Koblenz sowie am Freiluftspiel «Das dritte Gleis» in Winterthur.
Einen ordentlichen Schaden erleidet der DVZO, als im Juli 2006 der Baumer Güterschuppen einem Brandanschlag zum Opfer fällt, denn die eine Hälfte des Gebäudes dient als Stützpunkt für den Buffetwagen-Betrieb. Die dort eingelagerten Materialien in sechsstelligem Wert sind krass unterversichert, so dass der Verein auf dem Verlust sitzenbleibt. Ersatzweise wird in Uster unverzüglich der frühere Genfer Hilfswagen X4ü «Hebamme» als fahrbarer neuer Stützpunkt revidiert und 2008 in Betrieb genommen. Später wird der Verein nicht unglücklich sein darüber, dass keine architektonisch-denkmalschutzrelevanten Interaktionen mehr zwischen diesem einst denkmalgeschützten Gebäude und der geplanten Bahnhofshalle zu klären sind.
Das Ressort Buffetwagen (heute «Gastronomie») mausert sich unabhängig davon im Lauf dieser Jahre zu einem zentralen Element im Produktionsprozess. Manche Extrafahrt lässt sich nur dank mit angebotener Verpflegung verkaufen, bisweilen werden Grossaufträge mit mehreren tausend Franken Umsatz erledigt. Die Idee hinter der «Hebamme» ist denn auch, bei externen Grossveranstaltungen die Vorräte inklusive Logistik gleich mitzunehmen; letztlich bleibt es aber bei einer Handvoll solcher Ausfahrten.
2000 zieht die SBB ihren letzten Stationstraktor von Bauma ab. Für Manöver zwischendurch und als einigermassen leistungsfähiges Infrastruktur-Fahrzeug beschafft der DVZO zunächst einen Occasions-Tm’’ der SBB. Als Ersatz für den altersschwach gewordenen «Giraff» lässt sich der Verein sodann 2008 vom Gönner Fritz Grotz, der ihm ein paar Jahre zuvor schon das Zweikraftfahrzeug Tem’’’ 354 vermittelt hatte, einen Tm’’’ der SBB schenken und gibt jenen als Entwicklungshilfe in den Ramsener Zipfel. Im selben Jahr kommt mit der Dampflok Ed 3/3 4 «Schwyz» von 1887 ein besonderes Schmuckstück der Bahngeschichte wieder in Betrieb. Pascal Troller hatte die Denkmallok von der Südostbahn vermittelt, und er ist der bisher erste, der nicht nur Schrott heranschleppt, sondern auch das Geld zu dessen Sanierung beibringt. Diese erfolgt 2004 – 2007 durch die Dampfgruppe Balsthal im Auftrag. Es zeigt sich aber bald, dass diverse weitere Arbeiten zu erledigen sind, und die Lok muss erneut für vier Jahre in die Ustermer Werkstatt.
2006 werden nach Abschluss der zweiten und bisher letzten Sanierungsetappe der Lokremise Uster zwei neue Stände im «Langhaus» sowie weitere Sozialräume in Betrieb genommen. Der DVZO kann dadurch seine Wagenrevision ausbauen und von der bisweilen staubintensiven Lokinstandhaltung trennen.
Vor dem Depot Bauma entsteht 2008 – 2009 anstelle eines unansehnlichen Zwingers für die früheren SBB-Mietvelos das von Wolhusen herangeschaffte Bahndienstmagazin aus dem Jahr 1876 mit Aufenthalts-/Schulungsraum und Lampisterie. Hinsichtlich Transfers von «Bau-Mobilien» ist es gewissermassen die Generalprobe für die sich bereits abzeichnende Übernahme der Bahnhofshalle. Dieses Bahndienst-Hüsli und einige weitere kostenintensive Vorhaben lassen aber die finanziellen Reserven auf beinahe Null schrumpfen. Der Verein muss sich gegen Ende des Jahrzehnts einer strengen Sparkur unterziehen, um wieder Reserven im Umfang eines Jahresumsatzes zu erwirtschaften. Für reine «Nice-to-have»-Projekte wird die Luft nachhaltig dünn, auch wenn bisweilen gerade diese das Salz in der Suppe ausmachen.