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Christoph Maag verstorben

Christoph Maag verstorben

Bild: Reto Trittibach, Text: Jürg Hauswirth

Am 18.10.2022 ist Christoph Maag kurz vor seinem 87. Geburtstag in Zürich verstorben. Mittlerweile ist es wohl eine Minderheit der Aktiven, die ihn noch im Dienst erlebt und entsprechende (gelegentlich zwiespältige) Erinnerungen an ihn hat. Es lohnt sich aber, seiner in einem etwas längeren Bericht zu gedenken, hat er doch den Verein ab Mitte der Achtzigerjahre während zwei Dezennien sowohl operativ wie strategisch und auch sozial geprägt wie nur wenig andere. Zunächst eine Kurzfassung der Würdigung, frei nach einem Begräbnisritus der Habsburger:

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«Wer klopft an?»

«Dipl. Ing. ETH Maag: Chef des kantonalen Amts für Abfall, Wasser, Energie und Luft; Abteilungskommandant der Artillerie; Mitglied der Linthkommission; Verwaltungsrat; Vereinspräsident; Vorstandsmitglied; Dampflokheizer; Lokführer; Chef der Bahninfrastruktur Bauma – Bäretswil»

«Wir kennen ihn nicht!»

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«Wer klopft an?»

«Christoph Maag, Vereinskamerad; massgebender Berater beim Kauf der Bahnstrecke Bauma-Bäretswil; zweifacher Sanierer der Neuthaler Brücke und weiterer Ingenieurbauwerke an der Strecke Bauma-Bäretswil; Sanierer des Bahnübergangs Bussenthal; Initiant und Erbauer des Barrierenpostens Neuthal; Restaurator von mechanischen Signalen und Abläutwerken; Retter des Stellwerks Uttwil, heute Bäretswil; Ideengeber für die Drehscheibe Bauma; beharrlicher Verfechter des weiteren Museumsbetriebs auf der Linie Bauma-Hinwil; Kritiker des Vorstands; Bekocher der Mannschaft; Organisator von Objektrettungen, Betriebsanlässen, Vereinsreisen»

«Wir kennen ihn nicht!»

– – –

«Wer klopft an?»

«Christoph, ein sündiger Mensch mit all seinen Ecken und Kanten»

«Er soll hereinkommen!»


Wer will, mag nun auch die Langfassung lesen.

Schon als Kind war Christoph Maag von der Eisenbahn fasziniert. Ähnlich wie andere Zeitgenossen bekam der kleine Christoph prägende Eindrücke bei seinen Besuchen im Meilemer Barrierenposten Seehaldenweg, der die direkte Verbindung zwischen Dorf und Friedhof herstellte und nah an seinem Elternhaus lag. Dieses war durchaus nicht klein-, sondern gutbürgerlich. Vater war beim Kantonskader in der Strassenverwaltung beschäftigt; beim Einkauf der möglichst geraden und gesunden Stämme für Telefon-, Stromleitungs- und Laternenmasten nahm er den kleinen Christoph jeweils mit, der bei dieser Gelegenheit das zielorientierte Feilschen und Verhandeln von der Pike auf erlernte. Ganze Nachmittage aber verbrachte der Dreikäsehoch bei den Barrierenfrauen an der Seehaldenstrasse. Verheissungsvoll kündete der Klang der Abläutglocke von einer bevorstehenden Zugfahrt. Mit der Handkurbel betätigte die Wärterin den Schlagbaum, und das nahe Einfahrsignal mit seinen Drahtzügen ging klappernd auf Fahrt. Christoph bestaunte die vorbeifahrenden De4/4 der «Arbeiter-Pullmans», die Ae3/6 der Eilzüge, die Be4/6 oder Ce6/8 der Stückgutzüge und gelegentlich auch eine Dampflok, die entweder wegen zu wenig Strom oder wegen zu wenig Elektroloks ihren Hilfsdienst auf der bereits 1927 elektrifizierten Rechtsufrigen verrichtete. Selbstredend wurde Lokomotivführer zum obersten Berufsziel des Jünglings und blieb es auch über die Schulzeit hinweg. Da es hiess, hierfür müsse zunächst eine mechanische Lehre absolviert werden, heuerte der Bursche nach der Sekundarschule bei der Maschinenfabrik Oerlikon MFO an, die damals in der Bahnindustrie eine Hauptrolle spielte und als Partnerin der SLM soeben mit dem Bau der Ae6/6-Gotthardloks begann. Als es nach Lehrabschluss und absolvierter RS zum Vorstellungsgespräch bei der Abteilung Zugförderung der SBB-Kreisdirektion III ging, war dort grad eine Zeit mit ausreichend viel Bewerbern. Deshalb wurden gleich einmal alle Brillenträger ohne weitere Eignungsprüfungen pauschal aussortiert, darunter auch der hoffnungsfrohe Christoph. Diesen zunächst schweren Schlag nahm er aber als Chance zu Höherem. Er holte sogleich auf dem zweiten Bildungsweg die Matura nach und absolvierte ein ETH-Bauingenieurstudium. Gleichzeitig machte er im Militär Karriere, wo er es bis zum Major der Artillerie brachte und von den Mutproben der Offiziersschule eine lebenslange Schwerhörigkeit mitnahm. Auch die Gründung einer Familie mit vier Kindern gehörte zur bürgerlichen Laufbahn. Beruflich wandte er sich von der Bahn weg und, wohl auch familiär bedingt, der kantonalen Verwaltung zu, wo er schliesslich zum Chef des Amts für Wasserbau und Gewässerschutz (heute Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft AWEL) hochstieg, hierarchisch nur eine Stufe unter dem Regierungsrat.

Als sein jüngster Sohn der väterlichen Aufsicht nicht mehr bedurfte, besann sich Christoph auf seine alte Leidenschaft und meldete sich als Aktivmitglied beim DVZO mit dem erklärten Ziel, möglichst bald die Dampflokheizer-Karriere einzuschlagen. Zur damaligen Zeit war dies das höchste der Gefühle für Laien; als Lokführer durften nur Profis und allenfalls Pensionierte amten. Dies hiess zunächst zwei Jahre lang Dienst als Lokbetreuer und Werkstattputzer leisten, und dass er das voreilig gekaufte gestreifte Übergwändli fortan nur noch für Gartenarbeiten nutzen durfte, weil das Bekleidungsreglement für Heizer dezentes Dunkelblau vorschrieb, steckte er mit der ihm eigenen Leutseligkeit weg. Trotz seiner hohen zivilen und militärischen Position (die damals noch etwas zählte) fiel ihm kein Zacken aus der Krone, in Werkstatt und Betrieb voll motiviert auch schmutzigste und scheinbar niederste Arbeit zu verrichten. Gleichzeitig war er seinen Gspänli dort ein guter Kamerad. Parallel dazu aber diente er dem Verein auch sogleich mit Organisationstalent und grossem Beziehungsnetz, als es ab 1986 zum ersten Mal darum ging, die schnell maroder werdende Neuthaler Brücke mit einem Rostschutzanstrich zu sanieren, wobei der DVZO als Nutzer nach Ansicht der Eigentümerin SBB die dafür nötigen Finanzmittel von rund einer Million selbst heranzuschaffen hatte. Unter anderen vermittelte Christoph dem diesbezüglich unerfahrenen Vorstand den Kontakt zum kantonalen Lotteriefonds und kümmerte sich um die Bürokratie. Bei den diversen Begehungen vor Ort fiel ihm auf, dass die Station Neuthal ja einst ein zweites Gleis hatte. Dieses könnte man doch für die eigenen Zwecke wieder herrichten, ein Umfahrungs- und Kreuzungsgleis im Neuthal wäre jedenfalls immer gut. Einige Telefonate an befreundete Kommandanten des Militäreisenbahndienstes genügten, und im Neuthal lagen im Rahmen einer konspirativen Divisionsübung «Neuthal 2000» (damals war landesweit grad «Bahn 2000» en vogue) 150 Meter Schienenjoche und Weichen; ein bald ausrangiertes mechanisches Stellwerk war ihm von der SBB-Bauabteilung III auch schon versprochen. Bevor es aber zum Einbau kam, stoppte der vergelsterte Vereinsvorstand das Ansinnen, was prompt den ersten grossen Konflikt schuf. Für Christoph war das zwar kein Grund, wie viele andere in ähnlichen Situationen als begossener Pudel den Bettel hinzuschmeissen und sich unter Getöse aus dem Verein zu verabschieden. Er zog sich aber vorerst wieder mehr in die Werkstatt zurück und genoss zwischendurch seine Heizerdienste, was er etwa in seinen illustrierten Büchlein «Geschichten aus dem Führerstand», Band I – III, lebhaft, durchaus romantisierend und mit heute nicht mehr zulässigen politischen Inkorrektheiten beschrieb.

Als Heizer fand Christoph das Wasserfassen in Hinwil mit den Feuerwehrschläuchen ab Hydrant gar mühsam. Ein Wasserkran, wie er in Bauma noch aus der Dampfzeit betriebsfähig vorhanden war, wäre doch auch hier etwas Geniales. Er nutzte den Bahnhofumbau von 1989, um in Absprache mit der SBB an betrieblich geeigneter Lage ein aufgearbeitetes Exemplar aufzustellen und an die Wasserversorgung anzuschliessen. Noch heute möchte niemand dieses Instrument missen.

Für ein nächstes grosses Herzensprojekt Christophs zeigte sich der Vorstand aufgeschlossen. Eingedenk seiner frühen Aufenthalte bei den Meilemer Barrierenfrauen trachtete Christoph danach, diesem damals in den letzten Zügen liegenden Berufsstand (die SBB hob 1995 die letzten Barrierenposten auf) ein lebendiges Denkmal zu setzen und an der Dampfbahn-Strecke ein funktionierendes Wärterhaus mit Handbarriere aufzustellen. Damals hatte die SBB als Eigentümerin noch das Sagen; die Ausrüstung des besonders kritischen und damals noch konsequent mit Strassenwache-Verkehrskadetten zu sichernden Bahnübergangs Bussenthal mit einem historischen Schlagbaum wurde nicht gestattet, hingegen diejenige des bloss örtliche Bedeutung aufweisenden Bahnübergangs Neuthal. Im soeben automatisierten Bahnhof Glarus wurden 1994 die beiden Bodenwärter-Buden Süd und Nord in einem wöchentlichen Arbeitseinsatz schonend rückgebaut, auf Flachwagen geladen, per historische Elektrolok und (ab Bauma) Dampflok bei ausgeschalteter Fahrleitung ins Neuthal verfrachtet und dort wieder abgeladen. Zwei Jahre später war der mustergültig aufgebaute Posten «98a» (dessen leicht schräge Nummer auf ein zufällig aufgefundenes Schild zurückgeht) betriebsbereit und wurde mit den Salutschüssen aus einer Hagelkanone eingeweiht; nur das im Keller für die jährlichen Fondue-Abende eingelagerte Weindepot musste auf Drängen des Leiters Barrierendienst wieder unverzüglich entfernt werden, weil dieser wegen dieses Vorrats seine unmittelbare Verhaftung bei einer überraschenden BAV-Kontrolle fürchtete.

Nicht nur mit Artillerie- und Hagelkanonen, auch anderweitig Lärm machen, das tat Christoph fürs Leben gern. Von seinen Kindheitserinnerungen im Barrierenposten her hatten es ihm die Läutwerke angetan. So richtete er mit Vorliebe stehengelassene «Gling-Glangs» wieder her, zum Beispiel dasjenige im Bahnhof Seebach zur unauffälligen Bedienung mittels Schirmspitz durch das Bodenblech. Wann immer ein DVZO-Extrazug (damals nicht selten) durch diesen Bahnhof fuhr, stand Christoph dort und gab dem Zug neckisch winkend ein schepperndes Geleit. Weitere Läutwerke drapierte er entlang der Strecke und vor der Remise Uster, selbstverständlich stets betriebsbereit und oft betätigt. Von der früheren UeBB fasziniert, stattete er auch den schienenlosen Bahnhof Hombrechtikon mit einem Läutwerk aus, dort sogar mit einem besonders wertvollen Maschinentelegrafen von einem Bahnhof der Rechtsufrigen.

Stets führte er eine Handkurbel zum Aufziehen der Abläutglocken-Uhrwerke mit sich und zog auf, was sich grad finden liess. Einmal nahm er mit dem Militärdirektor an einer Hundsverlochete auf der Kyburg teil. Nach genossenem Diner spazierten beide durch den Wald zum Bahnhof Kemptthal, um dort den letzten Zug nach Zürich zu nehmen. Da sie eine Viertelstunde zu früh ankamen, zeigte er seinem Freund die Funktionsweise des Läutwerks neben der verlassenen Stellwerkkanzel des Landbahnhofs. Dumm nur, dass dieses immer noch an den Streckenblock angeschlossen war und nun, sobald aufgezogen, jede der dort auch nachts sehr häufigen Zugfahrten zweimal abläutete. Eiligst entflohen die zwei ihre Unschuld mimend auf den Zwischenperron. Oben in der früheren Vorstandswohnung ging das Licht an und eine verschlafene Person rief aus dem Fenster «wèr lüütet da?». Christoph rief schlagfertig hinauf «si sind grad devogrännt!» und freute sich noch jahrelang diebisch über den offensichtlich verursachten Schlafentzug. Die armen Bewohner werden die ganze Nacht nicht mehr zur Ruhe gekommen sein, denn ein aufgezogenes Läutwerk schafft etwa 30 Züge anzuzeigen, bis das Gewicht wieder hinuntergeschnurrt ist.

Auch bei seinen häufigen Besuchen im Bahnhofbüro Bauma liess er unabhängig von der Tageszeit stets zunächst die betrieblich obsolete Glocke Richtung Saland erklingen, das Resultat in kurzer Kontemplation sichtlich geniessend. Erst danach klopfte er an die Fahrdiensttüre und begehrte Einlass, um sein Anliegen vorzubringen.

Beim Heizen war er ebenfalls nie um eine Begründung verlegen, weshalb in der Feuerbüchse grad jetzt noch einmal Kohle aufzulegen sei (über seine Beschickungsintensität wäre eine Freud’sche Analyse ohnehin recht ergiebig gewesen), und während seinen Heizerdiensten blies das Sicherheitsventil zu überwiegendem Teil der Betriebszeit ab, sowohl auf Berg- wie auf Talfahrt und sowieso beim Herumstehen. Obligatorisch war auch das noch viel ohrenbetäubendere Abschlämmen des Kessels nach dreiviertelstündigem besenreinem Parkdienst am «Wöschplatz», mit Vorliebe genau dann, wenn die Messgänger aus der benachbarten katholischen Kirche hinausströmten. Als Rücksicht nehmende Kollegen in Uster der Lok 2 einst einen Schalldämpfer zur nachbarschaftsschonenderen Betätigung des Abschlammventils einbauten, schlich Christoph des Nachts ins Depot, sägte das vermaledeite fabrikneue Teil kurzerhand ab und postierte es aus Protest gut sichtbar auf dem Alteisenhaufen, auf dass er weiterhin sein Hobby ausreichend hörbar zu markieren in der Lage sei.

Neben Dampfloks faszinierten Christoph in besonderem Mass auch mechanische Signale als weitere lebendig gebliebene Kindheitserinnerung. Ihrer Acht hat er zusammengetragen, saniert und entlang der Strecke sowie (nachdem es sinnvollerweise nichts mehr zu signalisieren gegeben hätte) bei der Remise Uster wieder aufgestellt. Schon in den 90ern verbrachte Christoph gelegentlich einen Samstagnachmittag nicht in der Werkstatt, sondern an der Strecke Bauma-Bäretswil, um das eine oder andere Zipperlein, das dem unter Spardruck stehenden SBB-Bahnmeister zu geringfügig schien, nach eigener Façon zu beheben, und sei es bloss in Form einer Jät- oder Baumfällaktion über einige 100 Meter. Immer wieder vermittelte er in Absprache mit der SBB Einsätze der Eisenbahn-Genietruppen, die hier ohne Gefährdung durch Eisenbahnverkehr und ohne Zeitdruck das Aufbauen zerstörter Infrastruktur üben konnten, selbstverständlich ohne jede Kostenfolgen für die SBB wie für den DVZO. Gelegentlich schickte er auch seine «Töss-Marine», die AWEL-Truppe zur Böschungs- und Flusspflege, etwas abseits ihres Wirkungsgebietes «zu Ausbildungszwecken» einen kranken Baum fällen oder Gebüsche schneiden. Als Ende der 90er-Jahre die SBB die Strecke Bauma-Bäretswil dem DVZO für einen Franken zum Kauf anbot, sass Christoph mit seinem bisweilen knallharten Verhandlungsgeschick stets mit am Tisch. Das Brückenprojekt und der Wärterposten führten ihn direkt auf den Vereinsposten, der nun nach Übernahme der Strecke zu Eigentum seiner harrte: den Chef Baudienst, de facto Leiter Infrastruktur bzw. Bahningenieur, unterstützt durch den treuen Alois «Wisi» Bischofberger als Stellvertreter und Bahnmeister. Unmittelbar nach dieser Übernahme standen weitere Arbeiten an in Form einer Fundamentsanierung der Neuthaler Brücke und einer Instandhaltung des Bölviadukts an, wofür abermals 1.5 Millionen zu sammeln waren. Christoph hatte hierin ja bereits Erfahrung und leitete auch diese Aktionen zu Finanzierung und Umsetzung mit Umsicht. Folgerichtig lehnte er stets mit Nachdruck alle Ideen ab, die Linie Bauma-Bäretswil(-Hinwil) aufzugeben und sich mit dem lang noch problemlosen Netzzugang zwischen Bauma und Wald zu begnügen (die Zeit gab ihm recht; seit 2019 können hier keine langsamen Extrazüge mehr verkehren).

Mit seinem neuen Ressort hatte Christoph nun zunächst grosses vor, nach Vorbild der Furka-Bergstrecke sollte eine aktive Truppe von sechs bis zehn Mann mindestens einmal wöchentlich tätig sein. Mit dem Eifer des Erstsemester-Medizinstudenten, der unter Auslassung wichtiger Vorlesungen immerhin schon einmal fleissig Heftli zur Auflage in seinem künftigen Wartzimmer sammelt, holte Christoph einen Rottenwagen und diverse historische Bahndienst-Magazine und -Werkzeuge in den Vereinsbestand. Nur mit der Truppe kam es nicht so recht vorwärts. Einmal monatlich drei bis sechs Mann waren das Maximum, trotz aufwändiger Bekochung der Aktiven in den eigenen Sozialräumen (als Kampftruppen-Kommandant wusste Christoph, wie wichtig eine gute Verpflegung für die Mannschaft ist). Es kam eben nicht jedermann klar mit Christophs bisweilen sehr militärisch gefärbten Führungsqualitäten, und manche älteren Herren, denen das vielleicht noch eher egal gewesen wäre, bevorzugten das Arbeiten in der geheizten Werkstatt den Einsätzen draussen bei Wind und Wetter.

Nach dem Aufstellen neuer (bisher fehlender) Ausfahrsignale kam Christoph die Idee, den Bahnhof Bäretswil mit einem veritablen mechanischen Stellwerk auszurüsten. Dieses besorgte er sich zur Jahrhundertwende vom Bahnhof Uttwil, den die Mittel-Thurgau-Bahn eben übernommen hatte und nun sanierte. Den mechanischen Apparat vom Typ Bruchsal J lagerte er vorerst im Heizkraftwerk Aubrugg ein, das seiner Verwaltung unterstand. Zur (bisher teilweisen) Ausführung des Projekts gelangten aber erst seine Nachfolger.

Mit seiner Pensionierung zur Jahrhundertwende und dank der soeben einsetzenden Bahnreform bekam Christoph nun überraschend Gelegenheit, seinen alten Bubentraum doch noch zu verwirklichen, und die packte er beim Schopf. Im Abschiedsinterview als Amtschef mit der NZZ vermeldete er dies denn auch der geneigten Öffentlichkeit, und auf dem Portrait trug er symbolisch die Krawatte aus dem Dampflädeli. Der Verein liess ihn zusammen mit einem jungen Kollegen bei einem selbstständig gewordenen ehemaligen Oberlokführer der abgeschafften SBB-Kreisdirektion III und mit Plazet sowohl des BAV wie des Verkehrspsychologen und des alle Augen und Ohren zudrückenden Bahnarztes zum «Lokführer Kategorie C spezial (nur Bauma-Hinwil)» ausbilden. Die folgenden 5 Jahre diente er nun nicht nur dem Betrieb als zeitlich maximal flexibel einsetzbarer Dampf- und Elektrolokführer, sondern auch der Infrastruktur-Instandhaltung als sein eigener Bauzug-Lokführer, wozu von der SBB ein ausrangierter Tm’’-Bahndiensttraktor und diverse Dienstwagen angeschafft wurden. Besonderen Spass hatte Christoph jeweils, wenn er beides kombinieren konnte, so z.B. im Rahmen eines dreitägigen Dampfeinsatzes vor dem Entwässerungskanal-Spülzug.

Weitere Projekte bereicherten das Tätigkeitsprogramm des Frischpensionierten. Nachdem 1989 in Hinwil die Drehscheibe entfernt worden war, wollte Christoph wenigstens langfristig einen Ersatz ermöglichen, umstandsbedingt nun in Bauma anstelle diverser (heute noch) maroder Depotweichen. Nach rund 10 Jahren fand sich ein geeignetes Stück in Form der zweiten (kleineren) Drehscheibe hinter dem Depot Nord in Winterthur. Ein abermals einwöchiger Arbeitseinsatz eines Freiwilligenkollektivs mit Übernachtungsgelegenheit im eigens organisierten SBB-Liegewagen und Tagwache um 06:15 (nach einer Meuterei dann auf 07:00 verschoben) diente dem Ausbau dieser Scheibe, die nach Aufarbeitung vorerst in Bauma zwischengelagert wurde und heute noch ist, zwar der Verschrottung harrend, aber immerhin als eine der Keimzellen des aktuellen Mega-Projektes «Depotareal Bauma 2020».

Unzählige weitere Einzelprojekte begleitete oder leitete Christoph ebenfalls. Ein letztes führte er in der Lokremise Uster durch, wo er neben seinen diversen anderen Tätigkeiten als «Götti» der Ed3/4 2 während Jahren sorgfältig den nötigen Unterhalt zukommen liess, dann und wann aber auch mal die ganze Mannschaft bekochte. Da der Vorstand beabsichtigte, künftig im Winter ebenfalls vermehrt Extrafahrten auf der eigenen Strecke durchzuführen, holte er den seit Jahrzehnten in Rapperswil auf einem Denkmalsockel stehenden Schneepflug auf die Schienen zurück und restaurierte ihn in Uster und tatkräftiger Mithilfe vor allem von Ueli Schneider zum «Schnee-Ueli». Ein erster und vorerst einziger Einsatz dieses Gefährts im Hinblick auf eine Extrafahrt der ganzen Schule Bauma zur Pfäffiker Seegfrörni Anfang 2006 wurde aber eher ein Debakel mit einer weit über 16-stündigen Dienstschicht der Räummannschaft inklusive einer Entgleisung. Aber immerhin, der Extrazug mit 300 Kindern konnte schliesslich durch Schnee und Eis verkehren. Dass der «Schnee-Ueli» anschliessend nicht mehr eingesetzt wurde und sogar wieder zum «Schnee-Pflug» umbezeichnet wurde, mochte Christoph verdriessen (der seither einzige «richtige» Einsatz mit Dampflok erfolgte erst viel später im Januar 2019, vor- und nachher war das Gefährt wegen Ressourcenmangels abgestellt). Ziemlich verbittert quittierte er nach einigen weiteren Querelen den Dienst, trat zunächst aus dem Vorstand und später aus dem Verein aus. In zwinglianischer Verhärmung verbat er sich jegliche Ehrung für seinen bisherigen Einsatz ebenso, wie er nur wenigen Kollegen gegenüber grundsätzliche Dankbarkeit für die ihm in gemeinsamer Arbeit ermöglichten Erlebnisse und Unternehmungen zeigte.

Christoph hatte wie beschrieben schon 1988 seinen ersten Zusammenstoss mit dem Vereinsvorstand. Als erfahrenem und selbstbewusstem Kadermann waren ihm auch nachher viele Entscheide des Führungsgremiums nicht nachvollziehbar, insbesondere war ihm stets der haushälterische Umgang mit den knappen Finanzen ein wesentliches Anliegen. Episch waren seine vor allem schriftlich geführten Eingaben und in der Folge Schriftwechsel mit dem Vorstand, zunächst per Post, später per Fax und schliesslich per E-Mail. 2000 wurde er konsequenterweise eher contre-cœur doch noch auch Vorstandsmitglied (ein Präsidium hatte er anderswo inne, nämlich während der gesamten rund 20-jährigen Lebenszeit des Vereins «Eisenbahnfreunde Zürichsee Rechtes Ufer EZRU», der die historische Elektrolok Ae3/6’ 10664 des Depot Rapperswil putzen und einmal jährlich zu ordentlichen Charterpreisen für eine Extrafahrt verwenden durfte). Einfach im Umgang war er während seiner bis 2007 dauernden DVZO-Vorstandszeit nie, darin glich er seinem teilweise gleichzeitig im Bundesrat politisierenden Namensvetter aus dem gleichen Dorf. Absolut dossierfest und gelegentlich mit guten Ideen kooperierend, hatte er vor allem Mühe, die Kompetenzen und bisweilen gesetzlich getriebenen Entscheide jüngerer Kollegen nachzuvollziehen und kollegial mitzutragen. Das Zug-, Stations- und Barrierenpersonal bekam pauschal Verachtung zu spüren, sogar wenn der Kondukteur ein Dienstkamerad im Majorsrang war. Bediente ein Wärter die Barrierenhandkurbel nicht so wie sich Christoph dies wünschte, kam ein «du Güllepuur!» vom Führerstand herab. Einzig auf die Lokführer liess er unabhängig von deren Alter nie etwas kommen. Geradezu vergöttert hat er den charismatischen Appenzell-Ausserrhoder Toni «Sir Anthony» Reisacher, mit dem zusammen er selbstredend am liebsten Fahrdienst leistete und dem er sogar zubilligte, die für Toni als kleinen Mann besser passende «Märklin-Lok» Ed3/3 401 der ihm selbst viel besser gefallenden grösseren Ed3/4 2 vorzuziehen. Beim fünf Jahre älteren Toni konnte es sogar vorkommen, dass der kant. Amtschef bei Erscheinen des bärtigen Mannli diesem theatralisch (zu höchstens 49% ironisch und zu mindestens 51% effektiv devot) zu Füssen fiel und ihm einen davon küsste; Toni liess es stoisch und mit gewissem Amüsement über sich ergehen. Nachdem der Doyen altershalber aus dem Fahrdienst ausgeschieden war, wurde er von Christoph jeweils als unterhaltsamer Gesellschafter und Abwaschhilfe zu dessen Küchenchef-Einsätzen nach Uster beordert. Dessen Tod mit 78 Jahren traf Christoph ausserordentlich tief. Eine eher auf Augenhöhe stehende Freundschaft pflegte Christoph mit dem 13 Jahre jüngeren, aus Appenzell-Innerrhoden stammenden Alois «Wisi» Bischofberger, der als sein Bahnmeister amtete und mit dem er bis zuletzt kollegial verbunden blieb. Die anderen Lokführer achtete er, sofern es Berufsleute waren. Heizer und (andere) Laien-Lokführer aber waren ihm fast durchweg ein lokmordender Gräuel, sofern sie jünger waren und die Ausbildung später als er erwarben (das hiess: fast alle), und er liess selten eine Gelegenheit aus, seiner Verachtung und seinem Spott die gebührende Bekanntmachung zuteilwerden zu lassen.

Als Chef Baudienst kümmerte er sich selektiv um gutes Einvernehmen mit den Anwohnern der Strecke. Wer ihn und sein Hobby nicht grundsätzlich kritisierte, bekam dann und wann freundliche Worte oder ein Freibillett als «Schmiermittel» zugesteckt. Die anderen verachtete und/oder ignorierte er, mit seinen Massnahmen und Projekten daherfahrend wie ein Hochwasser, das erst an ausreichend starken Dämmen abgelenkt wird. Grossen Eindruck machte ihm nur die Unterschriftensammlung einiger Hinwiler gegen die Dampfbahn-Immissionen. Er entwickelte eine Technik zum «rauchfreien Heizen» mittels Verfeuerung von Brikett-Klötzen, derer sechs Stück ihm die Lokbetreuer beim Kohlenfassen stets herbeitragen mussten. Wehe, dies geschah nicht, dann bekam «das Knäblein» (Christophs bevorzugte Bezeichnung für diese zumeist von Junioren wahrgenommene Charge) vom Führerstand herunter Gift & Galle zu hören. Nach Bäretswil auf der Talfahrt zerklopfte er die Briketts mit lauten Hammerschlägen zu gut verdaulichen Stücken und legte im Bereich des Dorfes und während des Halts im Bahnhof ausschliesslich diese auf. Dass die Rauchentwicklung eher von der Menge gleichzeitig verfeuerter Kohle und weniger von deren Qualität abhängt, verwies er in den Bereich der Märchen und zieh alle Kollegen, die sich nicht an sein allein richtiges Modell hielten, der üblen Häresie, geeignet, dem Sarg des DVZO den letzten Nagel einzuschlagen. Gleichzeitig war es ihm einerlei, dass er auch im Dorf und im Bahnhof Hinwil praktisch ununterbrochen das Sicherheitsventil abblasen liess. Mit seiner Schwerhörigkeit störte ihn dies eben weniger als andere Leute.

Und doch hatte er auch viel Sinn für Stil und (bürgerliche) Kultur. Selbstverständlich durfte eine Dampflok erst nach picobello durchgeführtem Putzen unten und oben auf dem säuberst vorbereiteten Remisenstand versorgt werden. Legendär sind die Feierlichkeiten zur «Einstallung» der Dampfloks Ende Saison in der Lokremise Uster, als man sich unmittelbar nach der letzten Ankunft in Bauma noch einmal über den Berg ins Winterquartier aufmachte. Nach dem obligatorischen Parkdienst erwarteten der von Christoph bereitgestellte Apéro und das selbst gekochte Nachtessen die Beteiligten, und alle genossen die gesellige Stimmung. Heute sind solche Anlässe nur schon wegen der dichten Streckenbelegung nicht mehr möglich.

Christoph mochte den Besuch klassischer Konzerte. Selten liess er eines aus, wenn ihm ein mitwirkender Vereinskollege (und sei es jemand aus dem Zugpersonal) diskret einen Werbeflyer zusteckte. Gerne liess er sich dabei auch von Verena begleiten, seiner früheren Chef-Sekretärin, späteren Partnerin und ganz am Schluss zweiten Ehefrau. In meinem persönlichem Musikempfinden konnotiere ich ein kleines Werk der klassischen Musik ganz besonders mit Christoph, wenn er mit viel Dampf auf seiner Lok 2 dahergefahren kam: dem Stück VII «Le Capitaine Cartuccia» aus «Le Carnaval d’Aix» von Darius Milhaud.

Obwohl ihm die Gelassenheit in aller Regel abging – wenn alles stimmte, dann konnte auch Christoph so richtig geniessen, angezeigt durch das Anstecken einer Churchill Morning, von denen er stets einen Vorrat dabeihatte und den Kollegen zum gemeinsamen Schmauch bereitwillig abgab.

Oft bezichtigte er den DVZO diverser Sünden gegen sein berufliches Metier und Herzensanliegen, den Gewässerschutz. Die einst aufkommende Idee einer Entleerung des Kesselwassers bei 90°C etwa verdammte er in Bausch und Bogen, den schädigenden Einfluss auf Abwasserleitungen und -reinigung in der 4 km weit entfernten Anlage Saland ins Feld führend. Gleichzeitig war es spannend zu sehen, wie viel mehr als andere er beim ebenso grosszügigen wie ungelenken Abschmieren der Dampfloks mit den tropfenden und Ölfäden ziehenden Klistieren und Kannen ganze Landkarten auf den Boden vor dem Depot zeichnete, dessen Abwasser ungeklärt versickerte.

Persönlich lernte ich Christoph im Winter 1991 in der damaligen Revisionsstätte Wil SG kennen. Als berufsmässigen Statiönler achtete er mich immerhin zu 50%, wobei ihm meine damaligen Dienstorte (zunächst sein Wohnort Meilen und nachher Linthal) besonders gefielen. Später beeindruckte ihn mein Organisationstalent, das zunächst den eher zurückhaltenden Betriebsleiter unterstützte.

Legendär war etwa der Kaderrapport vor der Werkstatt-Züglete von Wil SG nach Uster im Frühling 1995, als ich, dienstlich am Ausgangspunkt stationiert, den Schlüssel für das spektakulär gelegene Sitzungszimmer auf dem Silo-Turm neben dem Lokdepot beschaffte und wir dort oben den längsten DVZO-Zug aller Zeiten planten. Ein andermal hielten wir bei «Sir» grossen Kriegsrat im Hinblick auf ein Glarner Wochenende con tutta la roba, bei welcher Gelegenheit ich mir zum ersten Mal eine Churchill Morning genehmigte. Als grossem Fan des Glarnerlandes, persönlichem Freund eines Glarner Ständerates und Mitglied der Linthkommission war es Christoph ein grosses Anliegen, dass der DVZO sich bei diesem Anlass von der besten Seite zeigte.

Später, vor allem zu meiner Zeit als Betriebsleiter, kam es immer öfter zu Friktionen aller Art. Zum einen lag deren Ursache im naturgegebenen Antagonismus zwischen Infrastruktur und Betrieb, wenn er etwa schon wieder eine Saisonkürzung zwecks vorwinterlicher Bauarbeiten verlangte und man für einzelne Fahrtage auf Bauma-Wald ausweichen musste. Im Grossen und Ganzen händelten wir das kooperativ. Schwieriger wurde es, wenn ich ihn in seiner fahrdienstlichen Funktion korrigieren musste. Mit manchen Bubentrickli etwa sorgte er zunächst schelmisch für eine verspätete Abfahrt, um dann mittels «flotter Bergfahrt» (Höchstgeschwindigkeit plus 10% plus…; die Hasler-Geschwindigkeitsmesser waren ja nicht so genau) und ebensolcher Talfahrt die selbstverständlich qualitätsrelevante pünktliche Ankunftszeit doch einhalten zu können. Mancher Heizer hat geseufzt, andere waren begeistert, die Loks konnten sich naturgegeben dazu nicht äussern.

1998 ergatterte Christoph aus der allerletzten damaligen Finanzierungstranche des Bundes zur «Sanierung von Bahnübergängen», die auf das Unglück von Pfäffikon ZH im Jahr 1982 zurückging, rund eine halbe Million für die Einrichtung der neuen Barrierenanlage Bussenthal. Als Innovation wurde diese Anlage per Funk ab der Lok angesteuert, wofür fünf schwarze Funkgeräte beschafft wurden. Es kam, wie es kommen musste – eines Tages fehlte eines davon. Christoph zieh den auch als Heizer amtierenden technischen Leiter der eventualvorsätzlichen Zerstörung dieses Geräts in der Feuerbüchse infolge ungeschicktem Kohleschaufeln. Er beschaffte auf eigene Kosten ein Ersatzgerät und brachte ein ebenfalls auf eigene Kosten beschafftes Schildchen «Wädi-Funk» darauf an, damit der Übeltäter lebenslang an sein verwerfliches Tun erinnert werde. Nachdem ich aus grundsätzlichen Überlegungen dieses Schild entfernt und entsorgt hatte, war kurz darauf wieder eines drauf. So ging es ein paar Mal hin und her, bis er es schliesslich grummelnd aufgab.

Christoph war aber auch ein Meister darin, das Kriegsbeil ganz oder vorübergehend zu begraben. So konnte es sein, dass eine längere Serie unfreundlicher Fax-Notenaustausche mit einer Ladung (unvergifteter) selbst gemachter Konfitüre in meinem Milchkasten und einem Zettel «KTA – Konfi trotz allem – Gruss Ch.M.» ebenso abrupt wie friedlich beendet wurde. Einmal war Christoph der Ansicht, eine morsche Fahnenstange in der Gählern bei Teufen AR, dem Höckli von «Sir», sei morsch und müsse ersetzt werden. Obwohl gerade wieder im Trio über irgendeine Quisquilie streitend, schloss er für einen Tag Frieden mit dem bereits erwähnten Wädi und mir, und wir fuhren zu dritt ins Appenzellerland, wo «Sir» von langer Hand vorbereitet ausser Haus gelockt war und wir gemeinsam zu seiner Überraschung die neue Fahnenstange aufstellten. Es war ein glatter Anlass. Am nächsten Tag gingen dann, wie wenn nichts gewesen wäre, wieder böse E-Mails über die Quisquilie hin und her.

Als im Juli 2006 der Baumer Güterschuppen mit dem Catering-Stützpunkt das Opfer einer Brandstiftung wurde, zögerte Christoph nicht und anerbot «trotz den laufenden Differenzen» zusammenzuspannen und eine Ersatzlösung auf die Beine zu stellen. Tatsächlich gelang es ihm noch einmal innert weniger Tage, mit Hilfe seines Beziehungsnetzes einen Container vor dem Depot aufzustellen, wo die Gastronomie nun für ein Jahr eine provisorische Bleibe fand. Christoph beteiligte sich auch an vorderster Front an der unverzüglich vorgezogenen Aufarbeitung des Genfer Hilfswagens zur «Gastronomie-Hebamme», die bereits ab 2007 als fahrbarer Stützpunkt und neue definitive Lösung zur Verfügung stand.

Im Gegensatz zu anderen Veteranen, die sich auch nach ihrem Rückzug aus dem aktiven Dienst dann und wann als Passagiere blicken lassen und mit den seltener werdenden bekannten Kollegen einen Schwatz halten, beschränkte Christoph sein Erscheinen strikt auf die Lokremise Uster, wo er die Kollegen weiterhin ein bis zweimal jährlich mit seinen legendären Militärkäseschnitten bekochte. Nur am Veteranentag 2019 kam er nochmals in die Hügel zwischen Glatt- und Tösstal. Nachdem er sich im Neuthal alles besehen hatte, zeigte er sich von dem seiner Ansicht nach derart desolaten Zustand der Anlagen so enttäuscht, dass er die Einladung zum Mittagessen verbittert ausschlug und sich sogleich auf den Heimweg machte. Auch im hohen Alter war ihm eben die Gnade der Gelassenheit nicht gegeben.

Das letzte Mal sah ich den früheren Vereinskameraden in der Nähe seines letzten Wohnortes in der Oerlikonerstrasse spazierend vom Mirage-Tram aus, das 2020/2021 noch einmal aus dem Museum für Betriebseinsätze hervorgeholt wurde und in dem ich eine quasi nostalgische Fahrt durch Zürich unternahm. Diese einseitig-zufällige Begegnung steht mir symbolisch für den Rückblick auf eine vergangene Zeit. Eine Zeit wie sie war, aber nicht mehr ist. Eine Zeit mit mehr Kasernenhofdrill und groben Umgangstönen, aber auch mit mehr organisatorischer Verbindlichkeit und selbstverleugnendem Engagement.

Jürg Hauswirth, 21.10.2022